Weniger Medikamente, gesündere Kinder

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In der Praxis muss ich vielen Eltern “meiner” Kinder sagen, dass, wenn es um Medikamente geht, “viel” eben nicht immer auch “viel hilft”.

Warum aber sollten wir bei Kindern Medikamente sehr sparsam einsetzen, vor allem langfristig gesehen?

Manchmal fragen mich die Eltern, ob es nicht besser wäre, das Antibiotikum oder die Kortisontropfen von Anfang an zu geben. Schliesslich haben wir das Jahr 2021!

Die Eltern haben den verständlichen Wunsch, das Leiden ihres Kindes zu minimieren und zu verkürzen, und freuen sich natürlich auch selbst über weniger schlaflose Nächte und eine kürzere Krankheitsphase - nicht zuletzt, damit sie auch wieder zur Arbeit gehen können.

Diese Überlegungen sind mir bekannt und ich habe vollstes Verständnis dafür, denn ich bin nicht nur Ärztin, sondern auch Mutter. Aber die Argumentation ist leider sehr einseitig und in sich nicht schlüssig.

(In seltenen Einzelfällen finde ich diese Denkweise durchaus gerechtfertigt. Wenn z.B. der kleine Bruder in 2 Tagen getauft wird, würden wir alles dran setzen, damit es natürlich auch der grossen Schwester schnell besser geht und sie dabei sein kann. Schliesslich taufen wir nur einmal im Leben. 👶🏻)

Wenn ich andererseits aber möchte, dass mein Kind so natürlich wie möglich gross wird und später so gut wie nie erkrankt, dann säge ich durch eine zu schnelle und häufige Medikamentengabe an dem Ast, auf dem mein Kind sitzt.

 
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Aus Erfahrung kann ich sagen, dass die Kinder die ich auch im Alter >10 Jahren noch zu häufig in der Praxis sehe, schon von kleinauf in den Teufelskreis Krankheit-Medikament-Krankheit hineingeraten sind, ohne jemals die Chance bekommen zu haben, eine starke Immunabwehr aufzubauen.

In dieser Diskussion betone ich immer Folgendes:

Für mich als Ärztin wäre es die “einfachste” und sicher die zeitlich/finanziell effizienteste Lösung, ein Antibiotikum aufzuschreiben und die Dosierung zu erklären.

Auf diese Art habe ich dann die Mutter, häufig auch die Grossmutter “zufriedengestellt” und kann schon zum nächsten Patienten eilen.

Fange ich aber an, den Eltern zu erklären, wie und warum Fieber entsteht, wie sie ihr Kind selbst beurteilen und mit Ernährungsumstellung und Kräutern behandeln können, dann ist das für mich sehr zeitraubend, nicht abrechenbar und vielmals auch anstrengend. Trotzdem sehe ich genau das als meine Aufgabe.

Wenn ich ehrlich bin, dann renne ich mit meiner Art der Kindermedizin bei jungen Eltern offene Türen ein, habe aber Probleme mit der Grosselterngeneration.

Unsere Grosseltern haben nämlich vor allem den Siegeszug der Antibiotika miterlebt. Damals starben viele Menschen an einer Pneumonie (Lungenentzündung). Heute können wir diese mit einem antibiotischen Sirup zu Hause und selten im Spital behandeln.

Was sie nicht sehen ist, dass zum Einen der Glanz der Antibiotika wegen der unkritischen Verschreibung längst verblasst ist und zum Anderen heutzutage bei vielen Erkrankungen fast gar keine Antibiotika mehr verschrieben werden müssen (z.B. Mittelohrentzündung).


Warum wir möglichst sparsam Antibiotika geben sollten

Nebenwirkungen und Folgebeschwerden (z.B. Pilzbefall)

Etwas salopp gesagt, mache ich mit einem Breitbandantibiotikum wie Augmentin die bakterielle Darmflora meines Kindes platt und gebe so Pilzen die Möglichkeit, sich zu vermehren. Danach muss ich noch ein Medikament gegen die Nebenwirkung des ersten Medikamentes geben.

Die häufige Gabe von Antibiotika führt dazu, dass Bakterien sich verändern und resistent werden.

Es ist nichts anderes als die natürliche Auswahl - nur die stärkeren Bakterien überleben und vermehren sich weiter, und so haben wir irgendwann Superbakterien. Es braucht nur eine kurze Internetrecherche um zu erkennen, dass es kaum neue Antibiotika gibt und uns nur noch sehr wenig Mittel zur Verfügung stehen, um resistente Bakterien effektiv zu bekämpfen.

 
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Das ist ein Riesenproblem, von dem Du mit Sicherheit schon gehört hast, aber kannst Du Dir vorstellen, wie es auch Dich oder Dein Kind betreffen könnte?

Wenn ein Kind mit einem multiresistenten Keim im Spital liegt, hören die Eltern Folgendes:

“Schauen Sie… Ihr Kind hat dieses Bakterium. Uns steht keine effektive Therapie zur Verfügung, wir können nur unterstützende Massnahmen anbieten. Wir müssen leider Ihr Kind isolieren, weil es eine Gefahr für andere kleine Patienten darstellt. Sein Zimmer darf nur noch mnit Schutzkleidung betreten werden. Wir hoffen, dass es sein Körper alleine schaffen wird.”

 
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Mein Wunsch ist es, dass ich selbst und auch meine Patienteneltern oder Schüler NIEMALS in diese Situation geraten. Ich wünsche es wirklich niemandem.

In einem guten Kinderspital werden Patienten, die von extern kommen, häufig schon vor der Aufnahme auf solche Erreger hin geprüft. Ich kann mich an einen Fall eines Kindes mit einer ernsthaften Bluterkrankung erinnern, welches seine Eltern aus Bulgarien nach Zürich ins Kinderspital bringen wollten. Die Familie stand finanziell sehr gut da, sie hätten die mehreren hunderttausend Franken für den Aufenthalt bezahlen können. Trotzdem wurden sie durch das Spital abgelehnt, um keine multiresistenten Keime einzuschleppen und damit andere Patienten zu gefährden.

DENKE DARAN, dass sich solche Geschichten jeden Tag mit echten Menschen und nicht nur in den Zeitungen oder im Fernsehen abspielen.

Unnötige Antibiotika schädigen das Mikrobiom

Es wird geschätzt, dass 60 bis 70% unserer Immunabwehr auf unserem Darmmikrobiom basiert.

Es geht aber nicht nur um den Darm. Unser Mikrobiom ist die Gesamtheit aller Bakterien, die mit uns zusammen wohnen, also im Verdauungstrakt vom Mund bis zum Popo aber auch im Mund, in der Nase, auf der Haut, allen Schleimhäuten und na klar auch auf und in den Geschlechtsorgangen.

 
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Es ist sozusagen das “natürliche Keimreichtum” unseres Körpers

All diese “guten” Bakterien sorgen für ein sensibles Gleichgewicht in unserem Körper, welches dafür sorgt, dass weder externe noch interne schädigende Bakterien sich ungebremst vermehren können.

Wie ein Atomschlag zerstört ein Breitbandantibiotikum dieses sensible Gleichgewicht.

Eltern von Kindern, die sehr häufig antibiotisch behandelt wurden, klagen genau darüber, nämlich dass ihre Kinder immer häufiger krank werden und jeden Keim mitnehmen, der gerade kursiert.

“Fünf kleine Kinder spielten zusammen und ein paar hatten Schnupfen, warum ist danach gerade MEIN Kind eine Woche lang krank zu Hause?” 😣

Eine häufige Antibiotikagabe erlaubt unserem Mikrobiom und damit unserer Immunabwehr nicht, sich zu entwickeln und ihre Aufgabe zu erfüllen.

Das ist, als ob man einen Wald abholzt und sich dann über die Bodenerosion beklagt. Ein solches Kind wird anfällig für jeden Keim sein.


Was ich leider immer wieder höre ist, dass ein Antibiotikum wegen mangelnder Geduld gegeben wird. In der Regel spielt es sich in etwa so ab: es ist der vierte oder fünfte Krankheitstag. Das Allgemeinbefinden des Kindes ist schon besser, es bekommt aber einfach immer noch Fieber. Das Fieber kommt aber nicht mehr so häufig und bleibt auch nicht mehr so lange bestehen, wie am ersten oder zweiten Tag.

Warum geben wir ihm in diesem Fall nicht die Möglichkeit, sich aus eigenen Kräften des Erregers zu entledigen?

Das ist in etwa so, als ob wir unserem Kind jedes Mal eine Süssigkeit geben, sobald es mit Kreischen anfängt. Das Lärmproblem ist vorübergehend gelöst weil das Kind ruhig sein wird, solange es isst. Langfristig kann das nicht gut gehen.

In etwa so ist es auch mit der Gesundheit. Unsere Geduld und Beharrlichkeit sind sehr gut investiert, wenn wir dadurch unser Kind über Jahre gesundheitlich fit machen können.

“Uns haben die Medikamente auch nicht geschadet!”

Ein anderer Klassiker ist auch: “Jetzt machen Sie mal halblang! Ich habe als Kind auch viele Antibiotika eingenommen und bin auch gross geworden.”

Nun, was genau die vielen Medikamente in unserem Körper anstellen, können wir NICHT wissen. Jede fremde Substanz, die wir unserem Körper zuführen, führt zu einer Reaktion. Auch Paracetamol (Dafalgan) kann für die Leber giftig sein. Ich sage nicht, dass man es nicht geben sollte, aber sicher nicht ohne triftigen Grund.

 
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Aus meiner Erfahrung würde ich schätzen, dass man in 7 von 10 Fällen auf Paracetamol verzichten kann, wenn man sich mit einfachen Hausmitteln zur Unterstützung unseres Abwehrsystems ein wenig auskennt und so Schmerzen und Fieber bekämpft.

Zum Abschluss möchte ich Folgendes betonen: ich will hier keinesfalls den Eindruck erwecken, dass ich gegen Antibiotika bin oder gegen ihre Gabe. Antibiotika können bei sehr schlimmen Infektionen lebensrettend sein. Sie müssen vorsichtig und sparsam gegeben werden, wenn andere Möglichkeiten zur Problembekämpfung ausgeschöpft worden sind.

Wir geben keine Antibiotika “einfach so”, ohne Untersuchungen (Blut, Röntgenbild, Abstrich) die uns davon überzeugen, dass sie notwendig sind.

In den letzten Jahrzehnten ist das Hauptproblem der Missbrauch (und entsprechend das “unbrauchbar-machen”) von ehemals hilfreicher und effektiver Antibiotika.


Langzeitschäden durch Kortison

Kommen wir nun zum vielverschriebenen Kortison…. 🤨

Kortison ist die künstliche Form von Cortisol - einem Hormon, dass unser Körper auch selbst in Stresssituationen oder auch bei Krankheit produzieren kann und welches neben anderen Wirkungen auch unser Abwehrsystem unterdrückt.

Kortison beruhigt/ unterdrückt sehr stark und sehr effektiv unser Immunsystem. Diese Funktion kann lebensrettend sein, v.a. bei schlimmen Entzündungen oder Allergien.

Welche langfristigen Konsequenzen hat das aber für unseren Körper?

Wahrscheinlich hast Du schon etwas gehört von Diabetes mit Schädigung der Gefässe, Hautprobleme, Osteoporose, Blutdruckerhöhung, um nur einige zu nennen. Zum Glück kommt eine längerfristige Kortisoneinnahme bei Kindern nur sehr selten vor, weshalb ich auch nicht weiter beim den Langzeitschäden verweilen möchte.

Ich komme lieber zu “simpleren” Sachen, die aber im Kindesalter sehr wichtig sind.

 
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Was passiert, wenn ich kleinen Kindern Kortison mitten in der Infektsaison gebe?

Das klassische Beispiel ist der Krupphusten (auch Pseudokrupp genannt). Als Kinderärztin habe ich gelernt, dass man in solchen Fällen Betnesol (Kortisonpräparat) gibt und das ist auch wirklich sehr effektiv: spätestens nach 2 Tagen sind Husten und Heiserkeit verschwunden.

Das Kortisonpräparat wirkt aber noch einige Tage nach - anschliessend schicke ich mein Kind mit einem lahmgelegten Immunsystem in den Kindergarten, wo jede Menge andere Kinder mit Husten und Schnupfen herumlaufen. Klasse, oder? Kein Wunder also, wenn das Kind nach 3 Tagen schon mit der nächsten Erkältung oder mit einem Brechdurchfall nach Hause kommt - ich habe mit der Kortisongabe das Problem quasi mit vorprogrammiert.

Die meisten Kinder, die ich in der Praxis mit Krupphusten sehe, werden auch gut ohne Kortison wieder gesund.

Obacht also, ich sage NICHT, man sollte niemals Kortison geben, aber es ist viel, viel seltener notwendig, als wir meinen. Du musst immer daran denken, dass das Immunsystem Deines Kindes auch Tage nach der Gabe von Kortison noch geschwächt ist.

Unser Immunsystem wächst und wird stärker mit seinen Aufgaben.

Ich möchte auch noch auf die lokale Nutzung von Kortison, z.B. in Form von Inhalatoren wie Axotide/Pulmicort eingehen.

Im Studium hatte ich damals gelernt, dass der lokale, also örtlich begrenzte (nur in der Lunge) Einsatz von Kortison keine nachteiligen Auswirkungen auf den Gesamtorganismus hat.

Inzwischen weiss man, dass auch das nicht ganz richtig ist. Das haben nun sogar die Hersteller eingesehen, die vor wenigen Jahren noch das Gegenteil behauptet haben.

Vor jedem Kortisongebrauch, sollte man sich fragen, ob es nicht auch noch Alternativen dazu gibt, denn eine häufig Nutzung kann sich neben dem Immunsystem auch auf das Wachstum unserer Kinder auswirken.

So kann Kortison bei häufiger Verwendung zu einer um 1 bis 5 cm verringerten (End-)Körpergrösse führen. Natürlich ist die Körpergrösse nicht das wichtigste im Leben. Es geht einfach immer um ein Kosten-Nutzen-Abwägung. In manchen Akutsituationen können Atembeschwerden tatsächlich nur durch Kortison kontrolliert werden.

Nebenwirkungen von Tamiflu und anderen antiviralen Medikamenten

Das klassische Beispiel eines Medikamentes gegen Viren ist Tamiflu. Es wird bei schweren Erkrankungen Grippeerkrankungen der Stämme H1N1 oder H2N3 gegeben.

In manchen Ländern wird das Medikament aber auch deutlich unkritischer bei leichten grippalen Infekten kleiner Kinder verschrieben.

In anderen Ländern wie Japan ist das Medikament wegen nervlicher und psychischer (bis hin zu Selbstmorden) Nebenwirkungen verboten worden. In der Schweiz nutzen wir das Medikament glücklicherweise nicht in der Praxis, weil es wirlich nur dem Spital vorbehalten bleibt.

Medikamente müssen Dir keine Angst machen, sie sollten aber mit Augenmaß angewendet werden.

Ich bin keine Medikamentengegnerin - das wäre auch mit meinem Beruf schwer vereinbar. Ich bin dankbar, dass wir Medikamente haben, denn sie können Leben retten und Infektionen effektiv beseitigen.

 
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Aber: ich hasse und bedaure den unkritischen Gebrauch/Verschreibung von Medikamenten, weil sie längerfristig unseren Kindern mehr Probleme verursachen, als sie lösen!

Je seltener unsere Kinder Medikamente nehmen müssen, desto wahrscheinlicher ist auch eine effektive Wirkung, wenn sie tatsächlich einmal benötigt werden.

Was schlage ich vor? Vielleicht solltest Du beim nächsten Mal, wenn jemand Dir in bester Absicht rät, Deinem Kind doch etwas gegen Fieber oder Husten zu geben, erst einmal abwarten und natürliche Methoden nutzen. Frage Dich immer, ob es nicht auch noch eine Alternative zum Medikament gibt.

Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiss gesetzt. Falls alternative Therapiemethoden Neuland für Dich sind, dann wirst Du Dich einlesen und Dinge ausprobieren müssen. Ich rate immer dazu, auch den Kinderarzt einzubeziehen, wenn dieser solchen Themen offen gegenüber ist. Du kannst auch explizit nach Alterativen zu Medikamenten fragen, insbesondere, wenn Dein Kind in der Vergangenheit schon viele Medis bekommen hat.

Etwa so: “Herr Doktor, gibt es noch etwas Anderes, was wir machen können? Der Kleine hat ja schon so oft Medikamente gehabt, gibt es noch etwas was ich von meiner Seite machen könnte? Oder können wir noch etwas zuwarten und schauen, ob sich der Husten mit Hausmitteln beruhigt?”

Du wirst sehen, dass sich über die kommenden Monate der Medikamentenverbrauch Deines Kindes langsam verringern wird. Du kannst auch mal ein wenig im Gesundheitsbuch Deines Kindes nachforschen, wie häufig es krank war, ein Antibiotikum bekommen hat und ob es auch wirklich so sehr krank war.

Wie gesagt, habe ich diesen Artikel geschrieben, um Dir andere Wege aufzuzeigen, nicht aber, um Dir Angst zu machen.

Du hast nämlich die Verantwortung auch für die langfristige Gesundheit Deines Kindes, nicht all diejenigen, die Dir (auch noch so gut gemeinte) Ratschläge geben - sei es die Schwiegermutter, Nachbarin, Kollegin…. Am Ende sitzen nicht sie, aber Du nach Jahren da und fragst Dich, ob all diese Medikamente wirklich notwendig waren.

Wenn Du bis hierher duchgekommen bist, ist Dir wahrscheinlich schon längst aufgegangen, dass Du neben den Medikamenten auch noch andere Therapieformen für Dein Kind benötigst. Vielleicht helfen Dir dabei Freund oder Bekannte, vielleicht Dein Kinderarzt, vielleicht aber musst Du Dich selbst hinsetzen und lernen. 🤓

Ich bin fest davon überzeugt, das die Eltern die besten Manager der Gesundheit ihrer eigenen Kinder sein können und wünsche Dir viel Erfolg dabei!

 
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